18. Seniorenforum 2017 in Mainz

von links nach rechts – Joachim Speicher – MSAGD, Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster, Herman H. Weyel - Vorsitzender

Am 26. Oktober 2017 um 10.00 Uhr fand das 18. Rheinland-Pfälzische Seniorenforum im Ratssall des Mainzer Rathauses, Jockel-Fuchs-Platz 1, 55116 Mainz statt.

Das Thema des diesjährigen Seniorenforums lautete: „Soziale Gerechtigkeit im Alter

„Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Artikel 1 des Grundgesetzes bezieht auch die Würde alter Menschen ein und damit die Gestaltung ihres Lebensalltags. Seit den 70-er Jahren bildet das „Alter in Würde“ das Leitmotiv der Altenpolitik in der Bundesrepublik. Im Bundestagswahlkampf kam dem Thema große Bedeutung zu. Über den Wahltag hinaus bleibt es auf der Tagesordnung und muss auch dort bleiben.

Das 18. Seniorenforum der LandesSeniorenVertretung Rheinland-Pfalz stand unter der Überschrift „Soziale Gerechtigkeit im Alter“. Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster, Sozialpolitiker und renommierter Armutsforscher, referierte dazu im Sitzungssaal des Mainzer Rathauses. Huster unterrichtet an der Universität Gießen sowie an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum und wirkt als Autor an den alle vier Jahre erstellten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung mit.

Vor rund 100 Seniorenvertreterinnen und Vertretern aus dem ganzen Land erklärte Huster: „Es gibt kaum einen Begriff, der so gegensätzlich – auch als Kampfbegriff – gebraucht wird wie Gerechtigkeit.“ Und er fragte: „Meint man Leistungsgerechtigkeit – gerecht ist also, wenn die Gegenleistung der eigenen Leistung entspricht? Meint man solidarische Gerechtigkeit – gerecht ist also, wenn diejenigen, die in einen Topf einzahlen nach gleichen Kriterien daraus Leistungen erhalten? Oder meint man vorleistungsfreie Gerechtigkeit – gerecht ist, wenn man das zum Leben Notwendige bekommt, sobald man nicht selbst für sich sorgen kann?“ Jede dieser drei Vorstellungen von Gerechtigkeit hat ihre Geschichte, ihre Bedeutung und auch ihre Gültigkeit: Die Lohnhöhe und davon abgeleitet die Rentenhöhe sollen die individuelle Leistung widerspiegeln. Wer in den Solidarverbund einzahlt, soll aus diesem auch Leistungen beziehen. Und: Ein letztes Auffangbecken soll sicherstellen, dass auch diejenigen, die aus dem Leistungssystem herausgefallen sind, das für ihr Leben in unserer Gesellschaft Notwendige bekommen, erklärte Huster. Doch zugleich nannte er kritische Fragen: „Was zählt denn als Leistung – die eines Topmanagers, der mit offensichtlichem Betrug Käufer beim Kauf von Dieselautos hinters Licht führt und dann auch die Arbeitsplätze seiner Beschäftigten gefährdet? Oder aber die Altenpflegerin, die körperlich und emotional schwere Arbeit für wenig Geld leistet? Wer von sozialer Gerechtigkeit spricht, muss sagen, was er darunter versteht und gleichzeitig einsehen, dass andere es anders sehen, weil sie andere Interessen haben, sagt Huster.

„Der Sozialstaat ist keine Kuh die im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken wird.“

Huster stellt fest: Was in den Milcheimer des Sozialstaates hinein soll, muss zuvor auf Erden in Form von Steuern, Sozialabgaben und Gebühren gefüttert werden. Nicht aber die oberen Einkommensschichten leisten hier den Hauptanteil, sondern vor allem die breite Bevölkerungsschicht, über Umsatzsteuer und Lohnsteuer sowie die „Otto- und Emma- Normalverbraucher“ mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen.

Das Thema soziale Gerechtigkeit bedarf also genauerer Betrachtungen, vor allem auch, wenn es um die soziale Gerechtigkeit im Alter geht. Die Folgen des Alters mussten früher allein familiär aufgefangen werden. Zu Wirtschaftswunder und ansteigenden Realeinkommen kamen die zunehmende Lebenserwartung und die Auflösung familiärer Verbindungen. Huster: „Die Erwerbstätigen müssen hinter der Arbeit herziehen, damit stehen sie für die unmittelbare Fürsorge der Eltern nicht mehr zur Verfügung.“ Die neu eröffnete Perspektive auf eine aktive Lebensphase im Alter wird davon bestimmt, ob die finanziellen Leistungen im Alter dies zulassen und wie dieses gemeinschaftlich organisiert werden kann, wenn die Generationen der Familie nicht mehr nahe beieinander wohnen.

Prof. Huster stellt klar: „Wenn die Würde des Menschen unantastbar ist, dann darf diese nicht abhängig sein vom individuellen Geldbeutel, sondern bedarf einer breiten Absicherung. Dazu gehören auch neuere Vorstellungen von Pflege, die mit dem Adjektiv aktivierend umschrieben werden können. Zum Älterwerden gehört, selbst zu bestimmen, zumindest mitzubestimmen, was ich tue und was nicht.“ Aber Alter bedeutet auch die Abnahme von Funktionen, sinnstiftender Aufgaben und Herausforderungen. Es bedeutet zum Beispiel Hilfe zur Selbsthilfe, etwa durch seniorengerechten Umbau der eigenen Wohnung oder Hilfestellung bei komplizierten Antragsverfahren. Es bedarf der Angebote zur Verbesserung des Zusammenlebens, etwa in Mehrgenerationenhäusern, über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg.

Schließlich gilt es, im Rahmen des Ehrenamtes sinnvolle Beschäftigungsfelder anzubieten, in Seniorenwerkstätten, in der Betreuung von Kindern berufstätiger Eltern oder hilfebedürftigen Älteren. Würdevoll müssen aber auch die Phasen der Krankheit durch Beratung und Betreuung gestaltet werden. Die Forderungen müssen, so der Professor, genau formuliert werden. Als erstes fordert er, dass die Gesamtverteilung in der Gesellschaft gerechter werden muss. Der aktuelle 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt, dass die realen Einkommen gerade der Bevölkerung im Bereich der unteren 40 Prozent seit 1995 gesunken sind, während vor allem die Menschen im oberen Einkommensbereich zugelegt haben. So kommt es zu einer stärkeren Spannweite zwischen arm und reich in allen Lebenslagen, auch die Altersarmut ist gestiegen, wenn auch weniger stark. Gerade diese wird zunehmen, da jetzige Beitragszahler durch Brüche im Erwerbsleben, Niedriglöhne und unterschiedliche Formen geringer bezahlter Beschäftigung ausgesetzt sind. Das bedeutet für die Betroffenen: Trotz Erwerbsarbeit kein Alter ohne Not!

„Gerade für die unteren Einkommensgruppen bei den Rentenbeziehern ist die Rente die weitaus größte Quelle bei der Gestaltung des Lebensalltags. Senioren- und Altenpolitik muss also zunächst und vor allem heißen: Sicherung eines Rentenniveaus deutlich oberhalb der Mindestsicherungsgrenze. Derzeit liegt es bei 47,9 Prozent, Ausgangspunkt war einmal 70 Prozent,“ erläutert Huster. Wenn die neue Regierung Verbesserungen bei der Mütterrente festschreibt, sagt Professor Huster: „Prima! Aber dann bitte finanziert aus Steuermitteln. Es kann nicht sein, dass eine noch so sinnvolle Leistungsverbesserung für eine Personengruppe letztlich mit eine allgemeinen Absenkung des Rentenniveaus für alle quasi gegenfinanziert wird.“ Insgesamt, sagt Huster, müssen mehr Steuermittel herangezogen werden, weil nicht einsehbar ist, dass bei einer allgemeinen Wohlstandsmehrung und bei steigenden Anteilen des Bruttoinlandsprodukts aus sogenannten Gewinneinkommen das Geld für ein Alter oberhalb der Armutsgrenze fehlt. Der Wissenschaftler erklärt: „Wenn Politik die Steuerbelastung der Besserverdienenden und auch der Wirtschaft reduziert, fehlt natürlich das Geld für das, was Artikel 20 unseres Grundgesetzes fordert, nämlich den sozialen Ausgleich.“

„Es geht um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – jetzt und in der Zukunft und dies kann nur geschehen, wenn wir uns an den beiden nicht veränderbaren Artikeln des Grundgesetzes orientieren, nämlich an Artikel 1, der den Schutz der Würde des Menschen in allen Lebensphasen als oberste Maxime aller staatlichen Gewalt festschreibt und an Artikel 20, der den sozialen Ausgleich zur Verfassungsnorm erhebt. Es bedarf sozialer Kompromisse bei der Verteilung materieller und immaterielle Ressourcen, aber die Wahrung der Würde des Menschen und der soziale Ausgleich in der Gesellschaft stehen nicht zur Disposition“, fasste Professor Huster abschließend zusammen.

In der anschließenden Diskussion, die der Vorsitzende der LandesSeniorenVertretung Herman - Hartmut Weyel leitete, bildete die Situation der Rentnerinnen einen Schwerpunkt. Dass sie überwiegend stärker von Armut betroffen sind als Männer, wird auch in Zukunft darauf beruhen, dass die Einkommen von Frauen deutlich unter denen von Männern liegen. Die heutigen Rentnerinnen haben allerdings zusätzliche Einbußen hinzunehmen, weil sie ihre Erwerbstätigkeit häufig mit der Verheiratung einstellten, frühere Frauen-Generationen zudem die Möglichkeit nutzten, sich bis dahin erworbene Ansprüche auszahlen zu lassen und später nach der Familienarbeit oft gar nicht mehr oder in gering bezahlten Teilzeitbeschäftigungen tätig waren, in denen zuweilen auch keine oder nur sehr geringe Sozialabgaben gezahlt wurden. Mit Kindertagesstätten, Ganztagsbetreuung in Schulen sowie bezahlten Tagen für die Betreuung kranker Kinder hat sich die Situation berufstätiger Mütter verbessert, jedoch auch dies mit Einschränkungen.

Die Bedeutung des 18. Seniorenforums unterstrichen auch Joachim Speicher, Abteilungsleiter Soziales und Demografie im Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie RLP und Dr. Eckart Lensch, Beigeordneter der Stadt Mainz. Wie der Referent des Tages verwiesen auch Lensch und Speicher darauf, dass sie selbst in einem Alter sind, da die Betreuung der eigenen Eltern nicht mehr so fern liegt und sie deshalb auch ihre beruflichen Standorte im Blick darauf geändert haben.

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